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Letzte Änderung / Last update: 2024-Sep-09

Keine Angst vor großen Zahlen

Irritation durch riesige Zahlen? Das kann man relativieren.


100 Milliarden

Beispiel: In der Milchstraße gibt es ungefähr 100 Milliarden Sterne. So eine große Zahl kann man sich nicht richtig vorstellen. Das sind 11 Nullen! Aber man kann sich bewusst machen, dass sich das Ganze im Dreidimensionalen abspielt. Also verteilen sich jene 11 Nullen auf drei Dimensionen. Da die Milchstraße eine flache Scheibe ist, ist sie in der einen Dimension sehr viel kleiner als in den anderen beiden. Also kann man über den Daumen je 4 Nullen für Länge und Breite ansetzen (ok, die Milchstraße ist rund, aber rechnen wir mal großzügig mit einem Quader) und die restlichen 3 Nullen für die Höhe bzw. Dicke der Scheibe. Was heißt das konkret? Nun, dass die Milchstraße im Durchmesser ca. 10.000 Sterne enthält und in der Höhe ca. 1000 davon, alles mehr oder weniger gleichmäßig verteilt. Das hört sich zumindest für mein Vorstellungsvermögen schon wesentlich fassbarer an. Die Milchstraße weist einen Durchmesser von ca. 100.000 Lj (Lichtjahren) auf, durch 10.000 macht also durchschnittlich 10 Lj Abstand der Sterne untereinander. Das passt hervorragend zu unserer eigenen Umgebung um unsere Sonne herum, wo der nächste Fixstern, Alpha Centauri, ca. 4,5 Lj entfernt ist.


86 Milliarden

Ganz ähnliche Zahlen: Das menschliche Gehirn besteht aus etwa 86 Milliarden Zellen. Sein Volumen kann man grob einem Würfel von 11 cm Kantenlänge gleichsetzen. Die dritte Wurzel aus den 86 Milliarden ist grob 4400. Das heißt also, dass sich in dem Würfel jeweils 4400 Neuronen auf die 11 cm = 110 mm Kantenlänge verteilen, oder ca. 40 Neuronen pro Millimeter. Das hört sich schon gar nicht mehr so unfassbar extrem an. Das schafft jedes bessere Mikroskop.

Aber das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Die Anzahl der Zellen in unserem Gehirn ist vergleichbar der Anzahl der Sterne in unserer Milchstraße!


30 Millionen

Noch so ein Beispiel: Man hat im beobachtbaren Teil des Universums die Daten von bisher 30 Mio Galaxien ausgewertet. Eine riesige Zahl. Wenn man die aber auf drei Dimensionen verteilt, sind das je Raumdimension nur noch 300 Galaxien, 150 zu einer Seite von uns, 150 zur anderen. Das hört sich gleich viel harmloser an. – Wie bin ich jetzt auf dieses Ergebnis gekommen? Erstens rechne ich statt mit 30 mit 27 Millionen. Das ist vertretbar, weil es hier nur um ganz grobe Abschätzungen gehen soll. Und der Zweck ist, dass man aus 27 leicht die dritte Wurzel ziehen kann: 3. Ich will ja die Zahl 27 Millionen = 27.000.000 auf drei Dimensionen verteilen, dazu muss ich eben die dritte Wurzel ziehen. Aus der 27 wird so die 3, und aus den 6 Nullen werden jeweils 2. Zusammen ergibt das 3*100 = 300 für jede der drei Dimensionen. – Alles unter der Annahme, dass sich die Galaxien gleichmäßig im Raum verteilen.

Bei den Galaxien kann man allerdings überhaupt nicht von einer gleichmäßigen Verteilung im Raum ausgehen. Vielmehr ballen sie sich in fadenförmigen sogenannten Filamenten, die sich wiederum zu räumlichen Netzen organisieren. Dazwischen gibt es leere "Blasen" (engl. "voids"), die anscheinend wirklich extrem leer sind.


Billionstel

Mit vielen Nullen umzugehen habe ich schon in Schulzeiten bei meinen Radiobasteleien gelernt, allerdings andersrum, mit Nullen hinter dem Komma. Wenn man ein Radio nach alter Analogtechnik baute, brauchte man als zentrales Teil einen Schwingkreis bestehend aus einer Spule und einem Kondensator. Damit wählte man die Frequenz aus, auf der man einen Sender empfangen wollte, siehe [WP Detektorempfänger]. Für Mittelwelle, die damals noch sehr belebt war, brauchte es eine Spule mit ca. 100 Windungen Draht sowie einen Drehkondensator mit einstellbarer Kapazität von 50 bis 500 pF. Wofür steht nun dieses "pF"? Ich lernte, dass man das "Pikofarad" ausspricht. Das half natürlich ungemein. Erst später lernte ich, dass es um die SI-Einheit [WP Farad] geht, also Ladung je Spannung, wieviel Ladung ein Kondensator pro angelegter Spannung speichert, in SI-Einheiten As/V (Ampèresekunden je Volt). Und das "piko" vorweg steht für 10-12, das sind Billionstel. Wenn man zwei isolierte Drähtchen (Klingeldraht, Schaltdraht) auf ca. 2 cm miteinander verdrillt, ergibt das schon ca. 2 pF.

Ok, das ist also die Größenordnung für Kondensatoren im HF-Bereich. Wenn es in den NF-Bereich geht, sind es mindestens ein paar nF, Nanofarad. Das "nano" steht dabei für 10-9, also das Tausendfache von piko, das sind Milliardstel. Je nach Schaltungsteil kann es dann auch schon in die nächste Stufe mit mehreren "µF", also Mikrofarad, gehen. Das "mikro" steht für 10-6, dafür steht der griechische Buchstabe µ (ausgesprochen mü), also ein Millionstel. Wenn es dann um ganz niedrige Frequenzen geht, wie für die 50 Hz im Netzteil, geht es wieder drei Nullen weiter. Da müsste man dann von Millifarad, also 10-3 Farad sprechen. Das macht aber keiner, man schreibt dann lieber beispielsweise 5000 µF. Und für ganz spezielle Anwendungen gibt es sogenannte "Goldcaps", also Gold-Kondensatoren, deren Kapazitäten einige ganze Farad erreichen können. – Im Nachhinein bin ich echt platt, dass man mit so simplen, alltäglichen Bauteilen – bis auf die Goldcaps alles Cent-Artikel – 12 ganze Zehnerpotenzen überdecken kann.


4 Gigahertz

Ein anderer Fall mit großen Zahlen: Computerchips, Mikroprozessoren. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass es anscheinend eine Schallmauer bei den Taktfrequenzen für solche Chips gibt, die bei ca. 4 GHz liegt, also 4 Milliarden Hz. (Mein erster eigener, richtiger Computer lief noch mit 1 MHz, also einem Viertausendstel davon!) Normale Computer laufen heutzutage (das ist 2024) mit etwas unter 4 GHz, und nur spezielle, übertaktete Rechner, meist für Gaming-Zwecke, gehen etwas über diese 4 GHz hinaus.

Der Physiker in mir fragt sich natürlich, was steckt dahinter? Und da erinnerte ich mich an meine Uni-Zeit, wo mich ein Kollege mal fragte: "Wie groß ist eine Nanosekunde?" Und er gab auch gleich die Antwort und zeigte mit seinen Händen eine Entfernung von ungefähr 30 cm an und sagte das auch: "30 Zentimeter!" Das habe ich als braver Physiker gleich verstanden: Die Lichtgeschwindigkeit beträgt ca. 300.000 km/s, in einer Nanosekunde legt das Licht also eine Entfernung von 10-9*300.000 km zurück, das sind 3*10-4 km = 3*10-1 m = 30 cm. Von diesen 30 cm müssen wir nun ausgehen:


1 Nanosekunde entspricht 30 cm

So, und jetzt schauen wir wieder unsere Prozessorchips an: Deren Taktfrequenz von 4 GHz bedeutet eine Periodendauer des Taktsignals von 1/4 Nanosekunde. In dieser Zeit legt Licht – und auch ein Stromimpuls – etwa 7 cm zurück. Ein Chip erreicht aber auch schon ungefähr diese Abmessung! Bei einem einzigen Takt kommt ein Signal innerhalb des Chips also gerade einmal knapp von einem Ende zum anderen! Das bringt Probleme, die Konstrukteure müssen das bedenken, wenn sie entscheiden, wie die Teile des Chips intern angeordnet werden müssen, um mit diesen schon merklichen Laufzeiten klarzukommen. Und noch weiter könnte man das erst ausreizen, wenn man die Elektronik des Chips nochmal eine Größenordnung kleiner und kompakter gestalten könnte. Es gibt da ein paar Ansätze, indem man verstärkt in die dritte Dimension geht und alles in mehreren Schichten übereinander stapelt, aber viel ist da wohl nicht mehr zu holen. Mit anderen Worten: Das [WP Mooresche Gesetz] stößt langsam an handfeste physikalische Grenzen. Und: Die [WP Lichtgeschwindigkeit] ist auch nicht so schrecklich schnell, wenn sie schon auf einem Chip, der etwa so groß wie eine Handfläche ist, kaum hinterherkommt. Das folgende Bild aus der Wikipedia zeigt animiert anschaulich in Echtzeit, wie ein Lichtimpuls in etwas über einer Sekunde von der Erde zum Mond und zurück läuft:


(Quelle: Wikipedia Commons)






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